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IVANO PROSERPI, Kunstführer Bissone 1999



Die ersten historischen Dokumente über Bissone entstammen aus longobardischer Zeit, insbesondere aus dem 8. und 9. Jahrhundert. Zu jener Zeit besass die Mailänder Abtei Sant’Ambrogio in der Gegend Ländereien mit Reben-, Oliven-und Kastanienkulturen. Ein Schloss, erwähnt und dokumentiert vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, ist heute nicht mehr erhalten.


Auf der Nord-Süd-Achse, am sanft ansteigenden Ufer des Ceresio (Luganersee) gelegen, entwickelte sich das Dorf entlang den Verbindungswegen zwischen Mendrisiotto einerseits und Campione d’Italia und Lugano andererseits und liegt heute an der Hauptverbindungsachse Nord-Mitteleuropa und Südeuropa.


Die Entwicklung des historischen Dorfkerns von Bissone steht in Zusammenhang mit geomorphologischen, ökonomischen und praktischen Gegebenheiten: Die ersten Wohnstätten entstanden nämlich am Fusse des Hanges, an einem Weg inmitten von Äckern und Feldern. Erst später, als der Fischfang und die damit verbundenen Tätigkeiten immer wichtiger wurden, breitete sich die Siedlung gegen den See hinunter aus. Dem Ufer entlang entstanden so die engen Gässchen und Arkaden und später, im Laufe des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, die vornehmeren Häuser der Künstlerfamilien. Mit dem Bau des Dammes zwischen Melide und Bissone im Jahre 1848 verwandelte sich der breite Platz am Seeufer in eine wichtige Verkehrsader. In der Folge wurde das alte Dorf hügelwärts von der 1874 eröffneten Eisenbahn und ab 1966 von der Autobahn umgeben. Das Vorhandensein dieser Verbindungswege und der damit verbundene starke Verkehr, welcher die Region sehr belastet, machen heutzutage ein generelles Überdenken des Verkehrskonzeptes der Gemeinde notwendig; es geht darum, Einwohnern wie Touristen wieder eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen.


Die Geschichte von Bissone wurde massgeblich bestimmt und geprägt durch die Emigration ihrer Künstler, der sogenannten “artisti dei laghi” (Künstler der Seen). Bissone ist in der Tat Geburtsort ganzer Familien und Generationen von Architekten, Bildhauern, Malern, Stukkateuren, Marmorsteinmetzen, die besonders zwischen dem 15. und 18. Jh. in vielen europäischen Städten und Regionen nördlich und südlich der Alpen künstlerisch tätig waren.


Zu den wichtigsten Zeugnissen der Vergangenheit, in denen diese Künstlerfamilien in Bissone selbst ihre Spuren hinterlassen haben, gehört die heutige Pfarrkirch zu San Carpoforo. Erstmals im Jahre 1148 erwähnt, geht sie wahrscheinlich auf die longobardische Ära (8. Jh. ). Ende des 16. Jahrhunderts bis ca 1680 erfuhr sie wesentliche Veränderungen und Erneuerungen. Der Grundriss der Kirche besteht aus drei Schiffen, sechs Seitenkappellen und einem viereckigen Chor.Ihr Inneres wird geprägt von mächtigen, reichen Decken-und Wandverzierungen in Form von Gemälden und Stukkaturen. Letztere widerspiegeln sowohl in der Wahl der Dekorationselemente als auch in ihrer markanten Plastizität den späten Barock des ausgehenden 17. Jahrhunderts. Derselbe Stil ist auch bei den von Heiligenstatuen überragten Altären sichtbar. Bemerkenswert sind das Tabernakel aus Marmor und die drei Terrakotta-Statuen des Hauptaltars. Die leider unbekannten Künstler der Gemälde und Stukkaturen stammen wahrscheinlich vorwiegend aus der Bissoner Familie der Tencalla, welche in verschiedenen künstlerischen Bereichen tätig war. Sie war in der Tat die wichtigste Wohltäterin bei den Erneuerungsarbeiten der Kirche. Und gerade die Analyse der Werke vieler Künstler der Familie Tencalla sowie anderer Künstlerfamilien aus Bissone, Lugano und der Valle d‘Intelvi erlaubt es, die Pfarrkirche von San Carpoforo mit anderen Werken zu vergleichen, welche die genannten Künstler nördlich der Alpen etwa in Bayern, Österreich oder Mähren geschaffen haben.

Ein weiteres wichtiges Sakralwerk von Bissone ist das Oratorium (Betsaal) von San Rocco, das den alten Dorfkern gegen Norden begrenzt. Erbaut in den dreissiger Jahren des 17. Jahrhunderts, bewahrt es bis zum heutigen Tag seinen ursprünglichen Barockcharakter, der vor allem in der eleganten Fassade gut sichtbar wird. Das Innere des Oratoriums ist einschiffig, mit einem Chorquadrat; zwei Bogengewölbe erschliessen zwei kleine Seitenkappellen. In seiner räumlichen Schlichtheit und den architektonischen Linien ist das Gebäude ein klassisches Beispiel der Sakralbauten des 17. Jahrhunderts; auf der Fassade hingegen zeigen sich die neueren und moderneren Tendenzen des Barocks lombardischer und römischer Prägung. Zu den interessantesten Zeugnissen des Oratoriums gehören mehrere Statuen sowie Gemälde mit Heiligendarstellungen aus der Zeit der Gegenreformation. Erwähnenswert ist auch das Bild des Hauptaltars mit einer Gruppe von Heiligenfiguren, in deren Hintergrund der alte Dorfkern von Bissone erkennbar ist, getreu dem damaligen Ortsbild (erste Hälfte des 17. Jahrhunderts).


Die bemerkenswertesten Wohnbauten der alten Siedlung befinden sich auf dem breiten Platz entlang des Seeufers. Ihre architektonische Struktur, aussen charakterisiert durch die breiten Arkaden, ist trotz einiger missglückter baulicher Veränderungen typisch: sie dokumentiert den Wandel der Gebäude von den ursprünglichen Fischerhäusern zu den Häusern der berühmten genannten Künstlerfamilien.